Frey_

ww-pappel
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Hallo!

Ich schreibe aktuell an meiner Bachelorarbeit, die sich mit der historischen Praxis von Wieder- und Weiterverwendung von (tragenden) Holzbauteilen befasst. Besonders soll der zeitliche Rahmen von 1400 bis ca. 1970 untersucht werden.
Welche Funktionszyklen in Zweit- oder Drittverwendung hat der geschlagene Stamm durchlaufen (Bsp.: Balken/Rähm faul, ggf. teilersetzt/repariert -> Sägen zu kleinerer Stütze -> Möbelstück), wie hat man Holzbauteile repariert oder aufbereitet? Wurden Holztragwerke ggf. schon bewusst selektiv (rück)gebaut?

Die früheren (meist aus der Not oder Notwendigkeit heraus), heute 'nachhaltig' genannten Maßnahmen von Reparatur, Re- oder Upcycling sind leider äußerst dürftig dokumentiert. Man hat schließlich verwendet, was da war, das Wissen mündlich und praktisch weitergegeben. Im heutigen Umbau alter Holzbauwerke stößt man manchmal noch auf Spuren früherer Ausbesserungen: Danach bin ich auf der Suche.

Vielleicht erinnert sich wer an eine Erfahrungsgeschichte aus (Ur)großmutters Zeiten oder Behelfsmäßigkeiten beim Wiederaufbau im letzten Jahrhundert. Falls sich jemand hier schon einmal mit der Themenstellung befasst hat, würde ich mich über eine Antwort oder Empfehlungen freuen. Ideen, Fallbeispiele, was auch immer euch in den Kopf kommt - Das wäre mir eine große Hilfe!

Liebe Grüße,
Frey
 

weissbuche

ww-robinie
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Habe mehrere Jahre im Museumsdorf Hösseringen gearbeitet und mehrere Gebäude ab- und aufgebaut. Eigentlich sind wir in jeden Gebäude auf Balken gestoßen, bei denen die Zapfenlöcher beim besten Willen nicht zu dem Bestandsgebäude gepasst haben, die also auf eine Zweitverwendung schließen lassen. War das Gebäude von geringerer Bedeutung ( Häuslingshäuser, Scheunen, Werkstätten ) wurde mehr Altholz verbaut, handelte es sich um z.B. um den Neubau eines Bauernhäuser wurde weniger Altholz eingesetzt. Diese Beobachtung wurde dann auch durch die Dendrochronologie bestätigt. Fälldatum bei den Balken in Zweitverwendung dann 100 - 150 Jahre eher wie beim Rest. Einfluß auf die Häufigkeit von Zweitverwendung haben auch die allgemeinen Umstände die während der Bauzeit geherrscht haben. Nach dem 30- Jährigen Krieg wurden potentielle Bauherren und Neusiedler von der Obrigkeit mit der Möglichkeit gelockt, die Ruinen auf wüst gefallenen Höfen auszuschlachten. In solchen Häusern bekommt man dann durch die Dendrochronologie ein vollkommen wirres Bild. Das ist auf jeden Fall ein interessantes Thema. Im Museum gibt es ein wenig Schrifttum dazu. Bei Interesse kann ich gerne einen Kontakt per PN herstellen.
 

SchweißerSchnitzer

ww-robinie
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Hab keine eigene Erfahrung, daher nur ein Tipp: Bei uns in der Region ist das LVR Freilichtmuseum in Kommern. Die bauen auch historische Häuser ab und dort wieder auf. Dort meine ich auch schon ein paar mal was zur Wiederverwendung von Holzbaumaterial gelesen zu haben. Vielleicht haben die auch Studien und Quellen dazu.
 

Mitglied 59145

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Wir haben schon einiges an Gebäuden zurück gebaut. Aufzeichnungen habe ich nicht. Kann aber das geschriebene bestätigen.

Je "günstiger" das Gebäude umso mehr 2. Bzw mehrfach Verwendung findet man. Es gibt sehr oft Zapfenlöcher, die einfach nicht passen. Oft findet man einzelne Balken mit Brandspuren oder komplett unterschiedlichen Oberflächen. Gesägte neben bebeilten usw.. Doppelte Bundzeichen, einen hatten wir mal mit verschiedenen Jahreszahlen, 80 Jahre Differenz.

Einen Torbogen gab es Mal, da war ein Datum welches wir als Datum des Baus gedeutet haben und ein zweites, wahrscheinlich Umbau oder Sanierung. Genau ist das allerdings nicht zu sagen.
 

weissbuche

ww-robinie
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Wir haben mal ein Haus dokumentiert, das zweimal verlängert wurde. Jedesmal wurden 2 Gefache vor den Stallteilgiebel gesetzt, weil durch Gemeinteilung und Verkoppelung der Hof größer wurde und mehr Vieh gehalten werden konnte und mehr Raum zum Aufbansen von Ernte und Futter gebraucht wurde. Beim zweiten Umbau hat man den Korbbogen über der Missentür einfach umgedreht und neu beschriftet. Es gibt viele Beispiele. Gerade beim Innenfachwerk wurde alles verbaut was da war, treu nach dem Motto: Doch ein Trost ist uns geblieben, es wird verputzt und abgerieben. Während die alten Hausforscher wie Gerd Eitzen, Altersbestimmung eigentlich nur an Hand der Art der Zimmerung machen konnten, ist es ja heute durch die Dendrochronologie möglich, das Alter eines Balkens genau zu bestimmen. Man braucht allerdings Balken mit Baumkante. Daran besteht aber in den meisten alten Häusern kein Mangel.
 

Martin45

ww-robinie
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Früher wurde je nach Geldsegen der/des Hausbesitzers alles verwertet, was nutzbar war.
Aus der knappen Nachkriegszeit, wo die Zimmermänner von Bauernhof zu Bauernhof zogen und dies und das mit dem vorhandenen Material gegen Kost und Logie und Taschengeld repariert haben, hab ich sogar schon Balken aus Pflaume gesehen. Wird halt gerade da gewesen sein und abkömmlich.
 

Leibhaftiger

ww-robinie
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Frey_

ww-pappel
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Hallo,

würde es eher als überrascht über die schnellen Rückmeldungen betiteln; ich bin ja noch neu hier. Danke für die vielen und ausführlichen Antworten! Werde mir die Verweise zu Herzen nehmen und da mal tiefer graben.
 

haass

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Bei meinen kaufberatungen als Sachverständiger sehe ich viele ältere Häuser.
In den Dachstühlen lassen viele holzbauteile finden, die eine Wiederverwendung gefunden haben, das kann man leicht erkennen an aussehen, Qualität oder Verarbeitung von hölzern. Die waren dann schon mal verwendet worden. Nach meiner Erfahrung sind ältere und einfache Häuser, landarbeiterhäuser, bergmannshäuser etc. Hier eher aus wiederver -
Wendeten hölzern gebaut. Ist ja auch klar, weil es günstig sein müsste.
Empfehlung: geh doch für deine Arbeit auch diesen Weg und suche dir bewusst ältere einfache Häuser. Dann sieh dir die hokzkonstruktionen an.
Viel Erfolg.
 
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