Entschuldigung wenn ich so loslege: es ist bereits unsäglich viel Unsinn gepostet worden zu diesem Schrank! Vor allem offenkundige Laien tun sich hier hervor mit wildesten Vermutungen in Richtung Mariage, zweites Biedermeier, Arts and Crafts, Fälschung um 1900 oder aus dem Sperrmüll zusammengestoppelt, Ahorn oder Birke als Holzart, Sägefurnier gibts ab 1821 maschinell gesägt....es ist einfach nur schlimm.
Einzig Welaloba liegt m. E. ganz richtig mit seiner generellen Einschätzung.
Das Möbel ist aufgrund seiner Gestaltung typisch in Form und Format von Rheinland bis nach Hessen einzuordnen, um 1800 - 1820, Kirsche auf Nadelholz oder Eiche furniert- das geben die Fotos nicht genauer her. Der Übergang vom französisch dominierten Empire im Rheinland zum bürgerlichen Biedermeier lässt sich gut an den Säulen, dem angedeuteten Schlusstein im Segmentbogen der Türen erkennen. Was die Fotos sehr gut zeigen ist z. B., dass die Türen innen mit dickem Sägefurnier gegenfurniert sind, das dritte Foto zeigt bestens die aufgelöste Querverleimung des dicken Blindfurniers auf dem oberen Rahmenquerholz.
Die blaue Farbe ist absolut typisch für die Zeit um 1860, die Todesanzeige passt genau dazu. Zu dieser Zeit ist der Schrank wohl mal überarbeitet und dabei innen blau gestrichen worden, solche Farbe gab es aber auch schon um 1820.
Die helle und verblasste Farbe auf dem Kirschfurnier ist typisch für eine unbedarfte 70er- bis 80er-Jahre-"Restaurierung" mit einem modernen (Nitro-?)-Lack. Da ist nix mit Birke oder Ahorn, das sieht man deutlich. Auch die nicht mit den Türen rapportierende Furnierung des Kopfes ist typisch für diese Schränke. Bei dieser vergeigten Überarbeitung sind wohl auch die rundum laufenden Leisten schwarz gefärbt worden, sowas wurde gern gemacht, ist nach meiner Erfahrung meist aber nicht Original.
Ansonsten sind bis auf die späteren Beschläge (um 1920?) und die Einbauten innen alle mir sichtbaren Details original, an den Säulen fehlen einige Kapitellklötze, die Füße sind so absolut richtig und anscheinend original, was für Eiche als Blindholz spräche. Es fehlen nur die quer verlaufenden feinen Profile dort. Auch die Galerie könnte original sein, genau sowas gabs zu der Zeit als oberen Abschluss.
Insgesamt ein recht gut und original erhaltenes Möbel, das noch vor 20 Jahren 10.000 bis 15.000 Mark gekostet hat, heute leicht für 750 - 1200 € auf einer Auktion zu kaufen ist. Da würde ich auch den gemeinen Wert großzügig ansiedeln.
Hier,
hier und
hier findest du formal änliche Schränke.
Behalte den Schrank einfach, bei Gelegenheit lass den scheusslichen Lack entfernen und ihn von einem vernünftigen Restaurator schellackpolieren, du wirst den Schrank nicht wiedererkennen, so sehr wird er warm und mit schöner Farbe strahlen. Ich habe mal eine seeeehr ähnlichenSchrank poliert, ich kann mich gut erinnern...
Und eins zum Schluss: mach besser gar nichts an der Oberfläche als irgendwas selbst gefriemeltes, das wird eh nichts- Möbelpolierer war mal ein Lehrberuf, das kann man nicht mal eben so nachmachen.