Zwei Cembali fertig - meine letzten!

dascello

ww-robinie
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Liebe Woodworkerz,



wieder einmal habe ich ein dreieinhalbjähriges Monsterprojekt abgeschlossen.


Vergleichend nach flämischen Vorbildern aus dem 17. Jahrhundert, jetzt in Museen in Berlin, Antwerpen, Nürnberg, Paris, Brüssel und auch in Privatbesitz, baute ich zwei kleine Cembali im Stil der Antwerpener Familie Ruckers (ca. 1570 bis 1680).
Vergleichend deshalb, weil die mehr als einhundert erhaltenen Instrumente dieser Handwerkerdynastie alle, ausnahmslos alle, in irgend einer Weise teils bis zur Unkenntlichkeit verbastelt sind.

#9 von oben.JPG

Daher: Mein Cembalo #9 folgt den Vorbildern kompromisslos so, wie sie ca. 1620 aus der Werkstatt kamen, dabei weitgehend nach dem Vorbild im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg von 1637,

#10 stellt einen möglichen Zustand um die Mitte des 18. Jahrhunderts dar.

#10 von der seite.JPG

Das Wichtigste in Stichworten: Gehäuse aus europäischer Pappel, Stimmstöcke aus altem Eichenholz, Resonanzböden aus engjähriger, radial geschnittener Fichte, die ich schon über dreißig Jahre gebunkert hatte. Die habe ich nach dem Fügen und Verleimen zwar zuerst durch eine Breitband laufen lassen für die Maximalstärke von 3,8 mm, dann aber ging das mit der Ziehklinge und dem Rauhbankhobel weiter. Die jetzige Oberfläche ist somit geschabt und geschnitten, nicht geschliffen. Das wäre ein No-Go in der Zunft.
Dünnste Stelle: 1,8 mm.

#9 klaviatur.JPG

Tastenhebel Pappel, Beläge Elfenbein (von einem geschredderten Flügel von 1937) bzw. vorbildgerecht aus Rinderknochen. Obertasten aus Mooreiche. Springer (Mechanikteile) aus einem Birnbaum vom Feld meines Vaters, den ich selbst 1984 gefällt und ins Sägewerk gefahren hatte, die „Zungen“ aus Ilex. Die Mechanikpolsterung nähten mir Lydia und Frau Lucke aus meinem alten Kaschmirmantel.



Für die Kranzprofile „oben rum“ ließ ich mir bei Guhdo in Wermelskirchen spezielle Fräsmesser für die Tischfräse anfertigen. War leider nicht billig. Andere Profile entstanden in meinem nachgebauten „Ziehstock“ unter Einsatz von Muskelkraft und Zeit. Einen historischen Profilhobel konnte ich nicht auftreiben.

#9 von vorn.JPG



Der Lack außen folgt präzise den Vorbildern. Zum Einsatz kam als Porenfüller verdünnter heißer Hautleim, dann Livos Vindo, ein ölbasierter Lack mit Naturpigmenten. Abschließend eine Schicht Schellack hellst, gepinselt. Der Vintage-Look soll so sein.

Die beiden identischen Gestelle, nach einem Vorbild von 1620 im Museum preußischer Kulturbesitz in Berlin, sägte, fräste, schliff, schnitzte und drechselte ich aus Eiche, meistens 42 mm stark.
Über 100 Drehteile waren das.

Dann kam schwarzes Antikwachs aus einem Schleifvlies drauf, das wieder abgewischt, Schellack Lemon gepinselt zweimal.

Deckel #9 innen und Korpus innen: Von mir am PC nachempfundene und beim Drucker in Auftrag gegebene Tapeten (wie beim Original), dann mit Guache von mir weiter verziert und beschriftet sowie von Gabi Tüshaus (Ahaus) mit Blümchen bemalt. Der andere Deckel wurde von Britta Hoppe (Wuppertal) mit einem Ölbild im Stil des 18. Jahrhunderts versehen.


Resonanzbodenbemalung: Die Ornamente sind von mir in Guache gemalt, das Blumendekor erstellte eine norddeutsche Malerin in Tempera.


An beiden Instrumente finden sich zusammen exakt 36 Schrauben, 24 davon halten die Deckelscharniere, acht die Gestelle zusammen. Fast alle anderen Verbindungen sind, zusätzlich zum Schwalbenschwanz wo möglich, mit Holznägeln gesichert. Vorgefertigte Dübel gibt es ebensowenig wie Astlochdübel oder Lamellos.
Absolut Very Old School also.

Zum Verleimen nahm ich Ponal, Fischleim und an wenigen Stellen Hautleim. Eigentlich soll alles mit Hautleim gemacht sein, aber ich traute mich nicht.


Beide Instrumente klingen und spielen sich brilliant, trotzdem ist da noch „Room for Improvement“. Das ist nicht ungewöhnlich. Alle diese Instrumente brauchen einige Wochen oder gar Monate Reife.

Libelle.JPG

Außer den oben Genannten halfen mir meine Söhne Benedikt und Severin beim Hin- und Hertragen sowie mit dem 3D-Druck einer präzisen Abstandslehre, mein Schwager Gerd (auch beim Schleppen und beim Einleimen der Resonanzböden, was schnell gehen muss), Jochen in Hawaii bei der Schrifttype, meine Nachbarin Beate mit Feuervergoldung, Malcolm in England bei der Kalkulation der Saitenstärken, Klaus in Koblenz mit den Maschinen seiner Schreinerei und Klaus in Wuppertal beim Bruzzeln von originalgetreuen Gestellschrauben mit Vierkantkopf.

So, das war es jetzt. Ich habe beschlossen, dass diese meine letzten Cembali sein sollen. Die Projekte werden mir einfach zu groß, um das weiter genießen zu können.



War ja nur Hobby……



Weitere Fotos, auch aus der Entstehung, auf

https://drive.google.com/open?id=1vP087RAjdhwbSzLXR8EX2JVhMISrLnsb
 
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Zwei echte Meisterwerke! Dein Kommentar "War ja nur Hobby……" ist leicht untertrieben. Gratulation zu diesen beiden Cembali!

Was ist das nächste Projekt, die nächste Herausforderung?
 

Gelöscht stwe

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Wow, einfach nur Wow!

Ich kann mir gar nicht vorstellen, was da an Planung, Detailverliebtheit und Planung eingeht! Großartig!
 

Dusi

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wenn man das sieht fühlt man sich wirklich klein... Ich bin begeistert über deine Arbeit...
 

Macchia

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finde jetzt keine Superlativen mehr, von daher kann ich mich den anderen nur anschließen.

Gibt es für solche Arbeiten, Expertisen die zu einer Zertifizierung führen können?
Nachdem du solche Seltenheiten detailliert und originalgetreu nachgebildet hast,
müßten doch auch z.B. Museen sehr daran interessiert sein?

mein musikalisch, historischer Hintergrund kann wohl diese Arbeit nicht genügend würdigen,
von daher mein Interesse.


Fantastisch!
 

dascello

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Nachdem du solche Seltenheiten detailliert und originalgetreu nachgebildet hast,
müßten doch auch z.B. Museen sehr daran interessiert sein?

Fantastisch!
Danke für das große Lob, aber derartige Arbeiten sind gar nicht mal so selten. Allerdings habe ich als Amateur den viiiiel besseren Profis eines voraus: Ich muss mich weder Kundenwünschen beugen, noch muss ich rationell arbeiten. Wenn ich für ein eigentlich banales Teil viele Stunden aufbringe, so what?
So kann ich mir erlauben ganz strikt am Vorbild zu bleiben. Darum beneidet mich der eine oder andere der Profis.
 

zündapp

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Also, zwei wirklich schöne Klaviere.:emoji_wink:
Eine Frage: Die äußere Gestaltung sieht ja eher wie eine Truhe aus und das Innere zeigt dann die feinen Arbeiten. Dadurch wirkt das Innere noch feiner. Dafür hat mir mal vor Jahren ein Cembalobauer einen englischen Begriff genannt, an den ich mich fast genauso lange zu erinnern versuche. Kennst Du den?

Was mich besonders freut: Auch das Latein-Zitat ist fehlerfrei.

Gruß,

Wolfgang
 

tiepel

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Hallo Michael,
darf man fragen, ob Du bereits Rentner bist, bzw. was Du beruflich machst?
Ich könnte mir in der Freizeit nicht annähernd vorstellen so etwas zu stemmen.
Gruß Reimund
 

ChrisOL

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Hallo Michael,

meine Hochachtung, ich mag mir gar nicht ausmalen wie viel Zeit in die vielen kleinen Details geflossen sind. Wirklich ganz hohe Kunst!
 

dascello

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Nein, nicht Rentner, aber besessen. Deshalb höre ich ja auf.

Der englische Begriff könnte „Inner-Outer“ sein. Beträfe aber Instrumente italienischen Stils.

Dieses „Truhendesign“ ist tatsächlich authentisch, ebenso wie der gemalte Marmor. „Trompe d‘oeille“ nennt man das. „Täuschung des Auges“....
 

IngoS

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Hallo,

auch von mir allergrößten Respekt. Enormes Fachwissen, große Handwerkskunst, Organisationstalent.
Zwei wunderschöne Stücke.

Gruß

Ingo
 

elmgi

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Hallo Michael,

mit Komplimenten der höchsten Kategorie bist Du ja schon regelrecht zugeschüttet worden.

Dann lasse es mich einfach einmal so sagen: Neben Deinen Arbeiten kommen mir meine
Holzprodukte wie die Relikte eines Grobmotorikers vor! :emoji_grin:
 

Rolf42

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Ich bin schwer beeindruckt. Zumal es offenbar auch noch der Koordination mit vielen anderen Experten/KünstlerInnen etc. bedurft hat, diese beiden Schmuckstücke auf die Beine zu stellen.

Vielen Dank fürs Zeigen.

Rolf
 

dascello

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In der Tat gibt da einen Stapel Bücher, die ich gelesen habe und in denen ich heute noch oft nachschlagen muss. Ferner habe ich die genannten Museen natürlich besucht und teilweise Kontakt mit den Kuratoren gepflegt. Und dann gibt es noch eine riesiges weltumspannendes Forum wie dieses, allerdings zum Cembalo. Fast zehntausend Nerds wie ich. Das hilft.
 

fahe

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...einfach nur wunderschön.

Ich würde fast wetten, das waren nicht Deine letzten Instrumente... selbst wenn Du Dir jetzt vielleicht ein Ende verordnest, wird das wohl nur eine Pause bleiben. Das ist bei der gelebten Perfektion aber ja auch gut.

PS: Besonders schön ist auch das Stilleben mit Proxon. Schöne Werkbank...:emoji_wink:
 

AhornBay

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Schönen guten Morgen Michael,
bei so viel Lob von den Vorredner wird's ja schon fast langweilig.

Ich bin völlig hin & weg von den Arbeiten. Eine solche "Projektvorstellung" gehört mA nicht in "so ein Forum" - das gehört in der Kunst-/Museuums Szene verbreitet!

Das ist diese Art von Handwerksarbeit, von der dann in 300, 400 Jahren die Leute sagen: "damals, ja damals haben sie solche wundervollen Dinge noch richtig bauen können - heute kann das keiner mehr"

Wenn Du dich selbst als "Besessener" beschreibst und künftig nicht mehr solch große Projekte angehen möchtest (was ich durchaus nachvollziehen kann), habe ich einen Vorschlag: schreib doch ein Buch, eine Beschreibung oder ein "Tagebuch" über den Weg, wie du solch ein Kunstwerk hergestellt hast. Vielleicht ein Weg, Dein Fachwissen über die Generationen zu retten.

Herzliche Grüße

Tom

... der - so ein - Niveau sicher nie erreichen wird
 
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Und dann gibt es noch eine riesiges weltumspannendes Forum wie dieses, allerdings zum Cembalo. Fast zehntausend Nerds wie ich. Das hilft.

Nur mal rein interessehalber, kannst du bitte mal den Link posten? Was das Internet doch für eine Bereicherung ist! Früher hätte sich doch nur sehr schwer eine nennenswerte Anzahl Menschen für so ein Nischenthema für einen Kongress oder Treffen finden lassen. Und die Kosten und die Beschwerlichkeit der Anreise erst. Schön das es heute möglich ist solches Wissen zu archivieren, teilen und schließlich auch wiederzubeleben.
 
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