Eine Kommode im Biedermeierstil, Thema Nachhaltigkeit

welaloba

ww-robinie
Registriert
26. August 2008
Beiträge
3.335
Ort
Hofheim / Taunus
Mein neuestes Projekt, eine Kommode im Biedermeierstil, Thema Nachhaltigkeit

Bisschen unsicher bin ich schon mit meinem Bauwerk: es ist vielleicht nicht zu vergleichen mit all den WOODWORKER - Neubauprojekten aus selbst ausgehobeltem Holz, entstanden in ziemlich professionellen Werkstätten ...

Beim Stöbern in meinen Beständen von alten Möbelteilen stieß ich auf 4 gedrechselte Pfosten von einem Kinder- (?) Bett, dazu passende Füllungen, alles aus Kirschbaum. Dann gab es zwei Schubladen mit Kirschvorderstücken, die ein Kollege für mich vor gefühlten 20 Jahren verkleinerte - (Schlüsselloch bitte mittig)

In der Garage gab es eine Tischplatte, die ich die letzten 10 Jahre oder länger für Birnbaum gehalten habe - es kam Kirsche zum Vorschein.

Der Plan war, eine Kommode zu bauen mit den Bettpfosten als Ecken, die Kirschfüllungen wollte ich als Seitenflächen in vorhandene Schlitze in den Pfosten einpassen. Die Querfriese oben und unten für die Seitenteile entstanden aus der erwähnten Tischplatte.

Die Höhe der Konstruktion war mit den zwei vorhandenen Schubladen nicht auszufüllen, also musste eine dritte her. Zuerst allerdings baute ich - ebenfalls aus altem, vorhandenem Nadelholz - ein Kommodengehäuse, das die Höhe der Pfosten haben musste bei freistehenden Füßen, siehe Foto. Die Vorderkanten habe ich alle mit Kirsch belegt, da kam die Tischplatte aus der Garage ebenfalls zum Einsatz. Die Sockelleiste vorn unten hat ebenfalls die Tischplatte hergegeben, diese sollte in der Höhe einigermaßen zu den seitlichen unteren Friesen passen, das ist manchem Betrachter vielleicht ein wenig hoch. Laufschienen und Streifleisten für die vorhandenen Schubladen einbauen, entsprechend der restlichen Höhe entstand dann die dritte Schublade als oberste. Da habe ich bisschen geschummelt: Einen gezinkten Nadelholzkasten, Sichtseite aufgedoppelt mit altem Kirschholz. Nicht zu vergessen: Auch eine Rückwand musste her, den Rahmen baute ich aus altem Nadelholz aus meinem Archiv (ca. 20 mm) und mit dünneren Flächen (ca. 10 mm) als Füllung.

Die Drechselpfosten musste ich für die Verbindung mit dem Kommodengehäuse jeweils innen abflachen, das ging auf der Bandsäge bzw. der Kreissäge.

Die Schubladen habe ich mit neuen Schlüsselschildern aus Kirschbaum in Rautenform verziert, die vorgefundenen Schlüssellöcher waren ziemlich ausgefranst. Die Spuren von angeschraubten Blechgriffen konnte ich nicht komplett entfernen, die Teile haben halt auch ihre Geschichte. Jede Schublade erhielt ein antikes Schloss aus dem Archiv, die drei Schlüssel sind etwas unterschiedlich.

Meine Rettung für die Deckplatte war dann eine weitere Tischplatte - zum Glück etwas zu groß - , diese hatte früher mal Gratleisten - diese waren nicht mehr da. Also habe ich die 5 Streifen neu verleimt, die Gratschlitze per Oberfräse begradigt und neu "gefüllt" mit flachen Gratleisten. Diese zweite Tischplatte hat wohl eine bewegte Vergangenheit hinter sich, nicht nur, was den Wurmfraß angeht. Es gab diverse schwarze Flecke, wahrscheinlich von lange abgestellten Blecheimern, die ich mit Asuso - Edelholzpulver einigermaßen rausbleichen konnte. Lange überlegt habe ich, wie weit die Platte seitlich überstehen sollte, es ergab sich dann ein Maß von ca. 3 cm.

Die Oberfläche: Hin und wieder beobachten wir ja, dass "Künstler" im Fach Oberflächen mit 4- 6 Schichten Nitrolack grundieren, um dann einen schnellen Glanz zu produzieren. Diese Oberfläche habe ich aus wachsfreiem Schellack hergestellt. Die Flächen habe ich mit wachsfreiem Schellack grundiert, immer wieder zwischengeschliffen und mit rotem Tripel und verdünntem Schellack "porengefüllt". Fertigpoliert habe ich mit etwas Polieröl als Hilfsmittel. dann auspolieren mit stark verdünntem Benzoeharz, auch zum Öl entfernen. Anschließend mit Hochglanzpolish 10099 von Zweihorn abgerieben.

Die Deckplatte ist jetzt auch fertig. Befestigt habe ich sie mit je 3 Papa Würth Schrauben vorn und hinten.

Und nein, es gab keine Zeichnung zu dem Teil, ich habe mehr oder weiger drauflosgebaut.

0klein.jpg 1 klein.jpg 2 klein.jpg 3 klein Rückseite.jpg 4 klein deckel.jpg 5 klein schlösser.jpg 6 klein Seiten innen frühes Stadium.jpg 7 ecke oben klein.jpg 8schub neu klein.jpg 98 rück.jpg 99 fertig.jpg
 

bello

ww-robinie
Registriert
21. Mai 2008
Beiträge
8.825
Alter
66
Ort
Koblenz
Ein sehr tolles Ergebnis, wenn man Material, Können und Wissen hat, dann gibt es wunderschöne Stücke.
 

ChrisOL

ww-robinie
Registriert
25. Juli 2012
Beiträge
5.748
Ort
Oldenburg
Wenn man die Geschichte zu dem Stück habe ich gelesen, da erkennt man den Könner, Hut ab!

Der Glanz ist phänomenal, das habe ich bei meinen wenigen Schellackversuchen nie hinbekommen, selbst das Hirnholz der Platte oben glänzt. Wie viel bringt das Benzoharz noch an extra Glanz?

Die Schubladen haben keine Griffe, ziehst du die immer mit dem Schlüssel auf? War das bei den Biedermeier Möbeln auch so?
 

IngoS

ww-robinie
Registriert
5. Februar 2017
Beiträge
9.059
Ort
Ebstorf
Hallo,

bin ja auch ein Freund von der Weiternutzung alter Materialien.
Bei mir kommt da aber leider eher was grobschlächtiges bei raus.
Hochachtung vor deinem Können.
Gefällt mir sehr gut, die Kommode.

Gruß Ingo
 

Bauwas

ww-robinie
Registriert
7. Mai 2021
Beiträge
803
Ort
Hamburg
Nichts verschwenden,
wiederverwenden! :emoji_heart_eyes:
Ich finde es toll, was @Ihr aus allerlei Restbeständen zaubert!
Das von dir gezeigte, @welaloba, ist ja wirklich kaum zu toppendes
Edel-Upcycling!
Spannende Geschichte! Sehr schön!!!
Willst Du sie selber behalten?
LG und bitte gerne weiter über Neuigkeiten aus Deiner Werkstatt berichten!
Immer wieder bin ich auch besonders interessiert, wenn Du uns an Deiner Erfahrung und Deinem Wissens-Schatz in Sachen Oberfläche teilhaben lässt. Danke dafür :emoji_thumbsup:
 

welaloba

ww-robinie
Registriert
26. August 2008
Beiträge
3.335
Ort
Hofheim / Taunus
Wie viel bringt das Benzoharz noch an extra Glanz?
Die Schubladen haben keine Griffe, ziehst du die immer mit dem Schlüssel auf? War das bei den Biedermeier Möbeln auch so?

Schubladen: Vor 1800 hatten Schubladen auch mal Knöpfe oder auch Henkelgriffe (siehe Foto) zum aufziehen, die biedermeierliche Strenge hat sowas vielleicht nicht mehr zugelassen, es zeigt sich, am Schlüssel ziehen funktioniert auch, so lange Schienen und Laufleisten nicht total vernudelt sind.

griff.jpg

Das Benzoeharz ist eine sehr klebrige Angelegenheit - ich hatte das Glück, dass ein ehemaliger Mitarbieter der ehemaligen Mainzer Schellackfabrik eine Analyse über den Benzoegehalt der fertigen Cripowa / Benzoe - Politur von Zweihorn lieferte. Das bewegte sich fast in homööpathischen Dosen, und genauso habe ich die Politur nachgebaut. Riecht gut und ist ein bisschen auch eine Glaubensfrage. Ich jedenfalls meine, es bewirkt etwas - mehr Glanz? - vielleicht. Löst Dreck von der Polituroberfläche ebenso wie Polieröl. Richtig kommt der Glanz danach erst zum Vorschein beim Abreiben mit Hochglanzpolish, das Zeugs, das von Zweihorn nicht mehr hergestellt wird. Habe zum Glück immer noch eine Drittelflasche.
Gruß Werner
PS: @Bauwas
Eigentlich haben wir keinen Platz für das Möbel, so stehts jetzt erst mal im Schaufenster, da können Spaziergänger und Wanderer auch mal einen Blick drauf werfen.
 

dascello

ww-robinie
Registriert
9. Januar 2008
Beiträge
4.449
Ort
Wuppertal
Lieber Werner, Hut ab (meinen, nicht deinen aufm Profilbild), ich bin begeistert.

Würde mir dieKommode angeboten mit dem Hinweis „Biedermeier“, dann würde ich in der Tat zuerst nicken.
Dann würde ich anfangen über die gedrechselten Füße nachzudenken.
Dann würde ich im Gedächtnis kramen, ob ich irgendwann schon mal sowas an einer B-Kommode gesehen habe.
Dann würde mir einfallen „nein, eher im Historismus“.
Dann würde mir auffallen, dass die schlichte, aufs Brett reduzierbare Art der Kommode tatsächlich „Biedermeier“ schreit.
Erst dann wäre mir der Frevel offenbar.
Will sagen: Mit spitzen Füßen oder mit Klötzen könntest du mich hinters Licht führen.

Tolle Leistung!

Michael
 

Mathis

ww-robinie
Registriert
7. Juni 2007
Beiträge
3.146
Ort
Im Dorf in 'ner Stadt
Das Benzoeharz ist eine sehr klebrige Angelegenheit - ich hatte das Glück, dass ein ehemaliger Mitarbieter der ehemaligen Mainzer Schellackfabrik eine Analyse über den Benzoegehalt der fertigen Cripowa / Benzoe - Politur von Zweihorn lieferte. Das bewegte sich fast in homööpathischen Dosen, und genauso habe ich die Politur nachgebaut. Riecht gut und ist ein bisschen auch eine Glaubensfrage. Ich jedenfalls meine, es bewirkt etwas - mehr Glanz? - vielleicht. Löst Dreck von der Polituroberfläche ebenso wie Polieröl. Richtig kommt der Glanz danach erst zum Vorschein beim Abreiben mit Hochglanzpolish, das Zeugs, das von Zweihorn nicht mehr hergestellt wird. Habe zum Glück immer noch eine Drittelflasche.
Gruß Werner
Das ist interessant zu hören- ich dachte auch immer, dass Benzoe ein wesentlicher Bestandteil von Cripowa sei.
Der unglaublich gute Geruch von Cripowa ist toll, und ich habs noch immer drauf, mit einem ganz leicht angefeuchteten Ballen das restliche Öl von der Politur zu nehemn, bis sie perfekt glänzt...und bestens riecht und sich einfach saugeil anfasst, da kommt keine andere Oberfläche der Welt mit. Für mich jedees Mal der Höhepunkt der Aufarbeitung einer Oberfläche, also nur ein kurzes überpolieren einer oft uralten Politur.
Ich hab mal vor vielen Jahren in der Ausbildung von einem noch gelernten Möbelpolierer erfahren, was Cripowa bedeutet: Cristall-Polier-Wasser.
Ansonsten ist deine Kommode einfach eine Augenweide, toll, was du da aus ein paar alten Möbelteilen gebaut hast!
Chapeau!
 

welaloba

ww-robinie
Registriert
26. August 2008
Beiträge
3.335
Ort
Hofheim / Taunus
@Mathis : Alte bis sehr alte Oberflächen mit Benzoe abreiben und frisch machen war immer wieder ein grosses Vergnügen, verbunden mit dem entsprechenden Erfolgserlebnis, das möchte ich nicht unerwähnt lassen... Gruss Werner
 

Mathis

ww-robinie
Registriert
7. Juni 2007
Beiträge
3.146
Ort
Im Dorf in 'ner Stadt
Oh, das hört sich interessant an: ich hab bisher immer einige Ballen Schellack auf alte Oberflächen poliert, bevor ich dann mit Benzoetinktur abgezogen habe. Machst du das nur mit Benzoe (Cripowa)? Also ohne zusätzlichen Auftrag von Schellack?
 

welaloba

ww-robinie
Registriert
26. August 2008
Beiträge
3.335
Ort
Hofheim / Taunus
@Mathis Ein Zitat meiner analytisch orientierten Frau: Nach Gefühl und Wellenschlag entscheiden - wenn die Oberfläche dreckig aussieht: erster Versuch mit Hochglanz 10099 (Zweihorn), wenn das zu mühsam erschien, weiter mit Benzoe -wie du schon sagtest, ganz dünn und vorsichtig und oft das Tuch erneuern, welches das abgenommene Material, zB. auch Wachs, aufsammelt; auf keinen Fall den Ballen zu feucht machen. Ich erinnere auch beim trocken auspolieren, dass ich immer noch eine neue Lage Tuch auf den Ballen gezogen habe.
 
Oben Unten