O t

lunateide

ww-robinie
Registriert
9. April 2010
Beiträge
1.700
Hab ich Harald versprochen:

Wer da glaubt,
ein Computer sei eine leblose Maschine,
der ist ein Tor. Ein Computer hat die Seele einer Frau.
Wer ihn begehrt, dem ist er voll Rätsel.
Wer ihn besitzt, der ist ihm verfallen.
Und wer glaubt, ihn zu beherrschen,
dem stürzt er ab.




Mäxchen
Von Roland
Ich hatte ihn auf einer Präsentation kennengelernt. Eine Präsentation ist eine Art Modenschau für Computer.
Der Vergleich ist gar nicht so übel.
Auf einer Modenschau führen junge Damen exklusive Kleider vor, die sie zwar tragen, aber nicht bezahlen können, damit sie von meist älteren Damen, die sie zwar bezahlen können, aber besser nicht tragen sollten, gekauft werden. Ähnlich verhält es sich bei einer Präsentation mit Computern.
Lässig, ein Glas Sekt in der Hand, Prospekte unter dem Arm und von jeglicher Sachkenntnis ungetrübt, schlängelte ich mich durch die Menge und hielt Ausschau nach dem Buffet.
Ich hatte nicht die geringste Absicht, einen Computer zu kaufen oder mich zu informieren. Der ganze Rummel nervte mich ungemein. Doch ich war wie fast immer völlig abgebrannt, und hier bot sich die Gelegenheit, auf Kosten des Hauses zu essen und zu trinken, was das Zeug hielt.
Mochten sich doch die Experten, die echten und die selbsternannten, die Köpfe heißreden über Doublespeed und Festplatten.
Mein Interesse galt den kalten Platten, und hier konnte ich einen Speed entwickeln, der so manchem Doublespeed Ehre gemacht hätte.


Doch dann sah ich ihn, und mein Herzschlag setzte für einen Moment aus. Pinkfarben war der Monitor, tiefblau mit weißen Griffmulden die Tastatur und der Tower die Vision eines genialen Designers.
Wie ein König hob er sich aus der Masse seiner grauen Artgenossen heraus. Majestätisch thronte er alleine auf einem mit rotem Samt bespannten Glastisch.


Es war Liebe auf den ersten Blick. Er mußte mir gehören, koste es, was es wolle. Vor allem galt es, ihn den Fängen dieses widerlichen, schmalzlockigen Jünglings zu entreißen, dessen dürre Finger wie Spinnenbeine über die Tastatur huschten und ihn mit immer neuen, komplizierten Aufgaben quälten.
Langsam pirschte ich mich heran, ängstlich besorgt, jemand könne mir zuvorkommen. Mit einer weltmännischen Geste zückte ich mein Scheckheft. Einen Scheck hatte ich noch retten können, bevor diese kleinbürgerlichen Banausen von der Sparkasse mein Konto sperrten.

Ohne Zögern schrieb ich den Betrag, der für Mäxchen verlangt wurde. Sollten sie doch sehen, wie sie zu ihrem Geld kamen.
Eilig packte ich ihn in die bereitstehende Transportkiste. Nur schnell weg, bevor der Schwindel aufflog.


Der schmalzlockige Jüngling wollte mir noch ein paar Ratschläge geben. Ich strafte ihn mit dem Blick eines Chefprogrammierers, dem man die Funktionsweise eines Taschenrechners zu erklären versucht.
Wir würden auch so zurechtkommen. Wahre Liebe überwindet alle Hindernisse.


Zuhause bekam Mäxchen einen Ehrenplatz am Fenster mit Blick in den Garten. Schließlich sollte er sehen, was draußen in der Welt vorging und nicht wie die meisten seiner Artgenossen ein trostloses Dasein in einer dunklen Ecke fristen.
Ich sohloß die Gardinen und zündete Kerzen an. Leise, romantische Musik sorgte für eine intime Atmosphäre.
Eilig hatte ich noch ein paar Programmpakete zusammengerafft, bevor ich die Ausstellung verließ. Zusammen mit dem, was Mäxchen mitgebracht hatte, zauberte ich ein Menü, das ihn beeindrucken mußte.
Behutsam rückte ich näher. Doch was war das? Mäxchen verweigerte die Nahrungsaufnahme. Er reagierte äußerst kühl auf meine Annäherungsversuche; eigentlich reagierte er überhaupt nicht. Sein Monitor blieb dunkel. Nicht das leiseste Blinzeln seiner klugen Augen verriet, daß das Ganze nur ein kokettes Geplänkel sein sollte.
Ich redete ihm gut zu, immer und immer wieder, ohne jeden Erfolg. Liebte er etwa den Schmalzgelockten mehr als mich, obwohl oder gerade weil der ihn so hart angepackt hatte?

Nun, ich konnte auch anders. Aus Mäxchen wurde Max und zum Schluß nannte ich ihn einen undankbaren Hohlkopf.
Ich wußte, daß ich ihn verletzt hatte, aber er zeigte keine Regung. Gegen Morgen verlor ich die Geduld und die Beherrschung. Mit Gewalt versuchte ich, eine Diskette in sein Laufwerk zu zwängen. Er wehrte sich nicht, und er gab keinen Laut von sich. Nur der traurige Blick des dunklen Monitors drückte alle Verachtung aus, zu der ein fühlendes Wesen fähig ist.
Ich kam wieder zu mir. Nein, so nicht. Vergewaltigen war nicht mein Stil. Doch was sollte ich tun? Sollte ich Christine um Hilfe bitten? Sie hatte sich vor vier Wochen von mir getrennt. Auch mit uns beiden hatte es nicht so richtig geklappt.
Nein, niemals. Ich wäre mir vorgekommen wie der letzte Versager.


So verlor ich zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit das, was ich am meisten liebte. Mäxchen landete beim Sperrmüll. Er stand nicht lange am Straßenrand. Zwei halbwüchsige Knaben schleppten ihn eilig weg.
Wenig später mußte ich eine höchst aufgeregte Mutter überzeugen, daß dieses elektronische Wunderding, das ihre Sprößlinge nach Hause gebracht hatten, tatsächlich für die Müllabfuhr bereitstand.
“Überholte Technik“, hörte ich mich murmeln, und Tränen schossen mir in die Augen. Als die Dame endlich unter heftigen Dankesbezeigungen gegangen war, überkam mich eine tiefe Todessehnsucht.
“Strick oder Kugel“, überlegte ich und beschloß, ein Bordell aufzusuchen.


Madame Monique empfing mich in bester Stimmung. Sie hatte gerade einen Personalcomputer gekauft und installierte eifrig Programme. "Das gleiche Modell wie Mäxchen“, stellte ich mit Entsetzen fest. Zum ersten Mal sah ich die Rückseite und den kleinen roten Hebel mit der Aufschrift: Hauptschalter...
 
Oben Unten